– Zu Besuch bei einem Tätowierer in Lichtenfels –

Das Licht an der Rezeption ist schummrig,  Zigarettenrauch liegt in der Luft. Dazu läuft ein alter Ofen auf Hochtouren und treibt das Thermometer nach oben. Im Nebenraum  steigt der Geruch von Desinfektionsmittel in die Nase, das Licht ist klinischer.

Andi Eytsch braucht gute Lichtverhältnisse, um mit seiner elektrisch angetriebenen Nadel über 40 verschiedene Farben in Andy Löfflers Unterarm zu jagen. Auf einem Tablet prangt eine Szene des blutverschmierten Christopher Lee aus dem 1965 erschienenen Film „Prince of Darkness“ – das Motiv, das Andys Unterarm nach vielen Stunden Arbeit und Schmerz  für immer zieren wird.

Banalisierung der Kunst

Andi Eytsch, eigentlich gelernter Konditor, verdient sein Geld seit inzwischen elf Jahren als Tätowierer – wenngleich er sich eigentlich eher als Künstler sieht. „Für viele ist es schlicht eine Dienstleistung“, sagt Eytsch. Den kreativen Prozess hinter jedem Tattoo würden nur die wenigsten zu schätzen wissen.

Weil Tattoos immer beliebter werden und nicht mehr nur Matrosen und Häftlingen vorbehalten sind, werde die Kunst zum Massenprodukt und dadurch auch banal. „Deswegen“, sagt Eytsch, „überlege ich mir genau, wen und was ich tätowiere.“

Nicht nur die Motive, auch die Kunden sucht sich Eytsch dabei genau aus. Die meisten Anfragen erreichen den gebürtigen Schneyer über Facebook – sein Studio in Lichtenfels hat nicht einmal ein Schild an der Fassade. Das gewährt ihm einen Einblick in die Profile der menschlichen Leinwände.

„Ich steche keine rechtsextremen oder fanatischen Symbole“, sagt Eytsch, legt die Nadel kurz beiseite und fügt hinzu: „Und wer mit der AfD oder dergleichen sympathisiert, bekommt von mir auch kein Tattoo. Das nehme ich mir heraus – Kunst war schon immer auch politisch.“

Alkohol für die Nerven, Zucker für den Kreislauf

Andy Löffler ist derweil angespannt. Inzwischen ist es dunkel, seit dem frühen Nachmittag bohren sich die dünnen Nadeln wieder und wieder in seine Haut. Stress für den Körper, doch Löffler ist kein Neuling und hat vorgesorgt: Süßigkeiten für den Zuckerhaushalt und ein Bier für die Nerven stehen bereit.

Es ist sein inzwischen elftes Tattoo. „Ich glaube keinem, der sagt, dass tätowieren angenehm ist“, sagt Löffler. Nach mehreren Stunden muss auch der in Veitshöchheim stationierte Hauptfeldwebel ab und an das Gesicht verziehen. Auch wenn der Unterarm noch eine der angenehmeren Körperstellen sei. „Es gibt schon fiese Stellen“, sagt Eytsch, „und nur weil ich täglich tätowiere, heißt das nicht, dass es mir weniger weh tut.“

Für seinen Stil, bei dem das Ergebnis nah an der realistischen Vorlage sein soll, braucht Eytsch möglichst optimale Hautflächen. Gesichter tätowiert er deshalb im Durchschnitt nur einmal im Jahr, Hände seien aber durchaus öfter an der Reihe. Die Kunden müssen mindestens 18 Jahre alt sein, nach oben hin gibt es keine Grenzen.

„Mein ältester Kunde war 80 Jahre alt. Das gibt es immer wieder, in ein paar Wochen kommt ein etwa 65-Jähriger zu mir“, sagt Eytsch. Für seine Motive stürzt sich Eytsch am liebsten auf Szenen seiner Lieblingsfilme, manchmal darf es aber etwas verrückter zugehen: Manchmal verewigt der 31-Jährige auch einen Burger einer bekannten Fast-Food-Kette.

Schmerzen gehören dazu – für beide

Eytsch arbeitet fünf Tage in der Woche, jeweils mindestens neun Stunden. Diese Sitzungen gehen auch am Künstler nicht spurlos vorbei – die Augen sind dabei nicht das einzige Körperteil, das extrem beansprucht wird. „Wer als Tätowierer keine Rückenprobleme hat, arbeitet eindeutig zu wenig“, sagt Eytsch und lacht.

Nach etwa sieben Stunden haben es beide geschafft. Dem einen schmerzen Rücken und Augen, dem anderen der Unterarm. Aber Christopher Lees Darstellung des Draculas ist unter der Haut – für immer.

KURZGEFASST

Lichtenfels
Andi Eytsch
Guter Typ, arbeitet inzwischen in Berlin – heute hier, morgen da